Deutsch in Namibia - eine Inselsprache?
Über einen Vortrag und eine Podiumsdiskussion berichtet Melanie Gaida
„Wir als deutschsprachiger Schwanz können nicht mit dem namibischen Hund wackeln“, so Prof. Dr. Hans-Volker Gretschel bei der einleitenden Vorbesprechung zu einer Veranstaltungsreihe über die Deutsche Sprache – international und speziell in Namibia – Mitte August in Windhoek. Der Dekan an der Universität von Namibia (UNAM) und langjährige Leiter der germanistischen Abteilung stellte damit von Anfang an klar, dass er eine Beeinflussung namibischer Sprachpolitik zugunsten des Deutschen für absurd hält.
Umsonst waren sie trotzdem nicht, die Präsentation von Prof. Dr. Ulrich Ammon über die internationale Stellung der deutschen Sprache und die drei Tage später folgende Podiumsdiskussion zum Thema „Deutsch in Namibia – eine Inselsprache?“
Von der Deutschen Botschaft und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) in Zusammenarbeit mit der Germanistischen Fakultät der University of Namibia (UNAM) und dem Goethe-Zentrum/NaDS veranstaltet, wurde das Thema von vielen Seiten beleuchtet.
Staunend saß man im Auditorium des Goethe-Zentrums/NaDS in Windhoek, während Professor Ammon, Linguist der Universität Duisburg und für drei Wochen Gastdozent an der UNAM, dem interessierten Publikum die harten Fakten über die ökonomische Stärke der deutschen Sprachgemeinschaft, die Verteilung derselben auf der ganzen Welt sowie die Vergangenheit des Deutschen als Wissenschaftssprache auftischte.
„Mundhöre weißlich“ hieß es noch vor zehn Jahren in einem Arztbericht aus Japan, der als Folie auf dem Overhead-Projektor liegt. Ebenfalls belegt Ammon mit einem Auszug aus einer zoologischen Bibliographie in England von 1910, dass wissenschaftliche Abhandlungen, die in einer Minderheitensprache erschienen, ins Deutsche übersetzt wurden. Die Vorreiterstellung als Wissenschaftssprache musste das Deutsche, von einigen geisteswissenschaftlichen Fächern einmal abgesehen, an das Englische abgeben. Wer heute international akademisch publizieren und debattieren will, kommt ohne Englisch nicht weit.
Auch als Sprache des Welthandels liegt Englisch ganz weit vorne, obwohl deutsche Unternehmen den zweitgrößten Anteil am Welthandel haben und im vergangenen Jahr sogar an erster Stelle noch vor den USA lagen. Auch die ökonomische Stärke der deutschen Sprachgemeinschaft betrachtend, die auf dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) beruht und nach der Deutsch an dritter Stelle steht, lässt sich fragen, warum der Welthandel fast ausschließlich in englischer Sprache vonstatten geht. In Osteuropa allerdings und in Teilen Asiens – so räumt Ammon ein – kommunizierten deutsche Unternehmen mit ihren einheimischen Geschäftspartnern auf Deutsch. Dass dies ausgerechnet in Asien möglich ist, lässt aufmerken, wo doch die meistgesprochene Sprache der Welt Chinesisch ist, von Englisch gefolgt, und Deutsch Platz neun einnimmt.
Betrachten wir die Verteilung der deutschen Sprache auf der Welt genauer: In sechs Ländern der Erde ist Deutsch Amtssprache. In 25 weiteren gehören Deutschsprachige zur wichtigsten Sprachenminderheit. Deutsch als Fremdsprache (DaF) ist die dritt- bis vierthäufigst gelernte Sprache der Welt und wird in über hundert Ländern gelehrt. Russland, Kasachstan, Mongolei, Australien – um nur einige zu nennen. Kamerun und Elfenbeinküste zählen ebenso dazu wie Namibia. Und obwohl Namibia historisch durch engere Beziehungen mit Deutschland verbunden ist, besteht in jenen afrikanischen Ländern ein sehr viel größeres Interesse als hier.
Deutsche Sprache in Namibia – ihre Stellung, ihr Image, ihre eigenen Variationen. Südwesterdeutsch, Wellblechdeutsch, gar von „Kauderwelsch“ war die Rede bei der Podiumsdiskussion „Deutsch in Namibia – eine Inselsprache“, an der neben den Professoren Ammon und Gretschel auch Dieter Springer, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schulvereine (AGDS), Gabriele Moldzio vom Deutschen Hörfunkprogramm der NBC und Irmgard Schreiber als Vertreterin der Allgemeinen Zeitung (AZ) teilnahmen und das „heiße Eisen“, wie Moderator Oliver Müller vom DAAD das Thema bezeichnete, durchaus kontrovers betrachteten. Als eine Sprachinsel bezeichnet man aus linguistischer Sicht eine Sprachgemeinschaft, die vom Sprachmutterland abgetrennt ist und sich mindestens über drei Generationen gehalten hat. Laut Ammon trifft dies im Falle Namibias zu, da die meisten Muttersprachler, wenn es sie ins Ausland zieht, nach der Schule zum Studieren nach Südafrika statt Deutschland gingen.
Einig war man sich darüber, dass Namibiadeutsch kein „unkorrektes“ Deutsch sei, sondern ein Deutsch mit anzuerkennenden Eigenheiten, wie das etwa auch in Österreich und der Schweiz der Fall ist. Deshalb plant Professor Ammon, in die in zwei Jahren erscheinende Neuauflage seines „Variantenwörterbuchs des Deutschen“ Namibiadeutsch aufzunehmen und somit einen eigenen namibischen Standard zu kodifizieren. Denn warum sollte „Bakkie“ weniger richtig sein als „Pick-up“? Oder „was tun, wenn es für einige Südwesterbegriffe einfach keine deutsche Entsprechung gibt?“, so eine Frage aus dem Publikum und damit in Richtung der Sprache als Kommunikationsmittel. Denn das soll sie in erster Linie sein, mit dem Aspekt der Korrektheit könne man ruhig ein bisschen „entspannter umgehen“. Über einen, von Irmgard Schreiber so bezeichneten, „Kultstatus“ hinaus hat das sogenannte Südwesterdeutsch, laut Gretschel, die Rolle eines Identifikationsmittels inne. Als Namibiadeutscher wolle man ein eigenes Selbstverständnis und sich – ähnlich wie die in Deutschland lebenden Ossis von den „Besserwessis“ – hier von den Deutschländern abgrenzen.
Doch hält sich das Namibiadeutsch oder ist selbst dieses als Muttersprache vom Aussterben bedroht? Seit der Unabhängigkeit fiel Deutsch als Unterrichtssprache von den ersten sieben auf die ersten fünf Schulklassen zurück und wird heute lediglich bis zur dritten Klasse geduldet. Wenn eine Sprache jedoch nur als ein Fach neben anderen angeboten wird und es nicht wenigstens einige Schulfächer gibt, die in dieser Sprache unterrichtet werden, entwickelt sie sich zwangsläufig zur Fremdsprache. Es sei denn – und hier sind neben der Schule mal wieder die Eltern als Erzieher gefragt –, man achtet zuhause darauf, dass die Muttersprache gesprochen wird und so als eine Sprache bleibt, in der man sich ohne Schwierigkeiten und ohne überlegen zu müssen verständigen kann. Dies umso mehr, wenn – wie üblich – die Kinder nach der Schule aus Gründen der Verständigung mit ihren Freunden sich des Englischen bedienen, das nun einmal Amtssprache ist und von fast jedem verstanden und gesprochen wird. „Muttern kann eine Plage sein, wenn die deutsche Sprache betroffen ist“, gibt Gabriele Moldzio unumwunden zu, die beim Besuch ihrer über 20-jährigen Kinder auch heute noch darauf besteht, dass im Elternhaus ausschließlich Deutsch gesprochen wird. Bilinguale Ehen, wie es natürlich viele gibt in Namibia, machten ein konsequentes Durchhalten in dieser Hinsicht komplizierter, wichtig sei es deshalb, feste Strukturen und Bezugspersonen zu haben.
Eine weitere wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung von Deutsch als Muttersprache kommt den Medien zu. Bringen doch diese, wie etwa ein deutsches Hörfunkprogramm, die Sprache direkt in die Haushalte hinein. Besonders wichtig sei es daher, ein möglichst „gutes Deutsch“ zu verwenden und diesen Bildungsanspruch nicht zu weit hinter den der Information und der Unterhaltung zurücktreten zu lassen. Unterhaltungswert habe es allemal, wenn ein „waschechter Südwester“ als Interviewpartner im Radio auftrete und über ein Thema spricht. Redakteure, die ein einwandfreies Deutsch beherrschen, sind für Hörfunk sowie Zeitung schwer zu bekommen. Der Nachwuchs fehlt, was wohl an den eher schlechten Verdienstaussichten liege, waren sich Irmgard Schreiber und Gabriele Moldzio einig. Streckenweise lebe man von Praktikanten aus Deutschland, um das Programm trotz finanzieller Engpässe aufrecht zu erhalten, räumt Moldzio ein. Das kürzlich geänderte Visaabkommen mache diesen Austausch leider sehr viel komplizierter. Trotz allem können sich die Erfolge der Allgemeinen Zeitung, die wohl eine der wenigen Zeitungen mit „schwarzen Zahlen“ ist, und des Deutschen Hörfunkprogramms der NBC sehen lassen – in keinem anderen nichtdeutschsprachigen Land gibt es schließlich ein volles deutsches Rundfunkprogramm, das 15 Stunden täglich sendet.
Ein Thema zum Aufregen war und ist die auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschlands. „Kümmerlich“ sei sie, so Ammon. „Sie existiert überhaupt nicht“, setzt Gretschel nach. Es finge schon damit an, dass sich die Deutsche Botschaft in Windhoek im sechsten Stock eines Hochhauses „verstecke“, statt ein repräsentatives Gebäude zu beziehen, wie das üblich sei (Ammon). Auch gebe Deutschland zwar viel größere finanzielle Zuwendungen an Namibia als Frankreich etwa, habe aber mit dem Goethe-Zentrum in Windhoek ein viel kleineres Kulturinstitut als das Nachbarland mit seinem Franco Namibian Cultural Center (FNCC). Auch lege Frankreich viel mehr Wert auf die Verbreitung der französischen Sprache – was ja bekannt ist – und fördere das Erlernen derselben mit Stipendien und Lektorenstellen mehr als dies Deutschland tue.
Wie ist denn überhaupt das Interesse am Erlernen von Deutsch als Fremdsprache? Das Goethe-Zentrum Windhoek ließ im letzten Jahr 163 Teilnehmer von 19 Lehrkräften unterrichten. Außerdem veranstaltet es jedes Jahr einen Sprachwettbewerb, der 2005 zum 19. Mal stattfindet und den Gewinnern einen vierwöchigen Aufenthalt in Deutschland ermöglicht – mehr Informationen dazu unter www.goethe.de/wind- hoek. Das Erlernen einer Fremdsprache bringt einem das jeweilige Land näher, es fördert die Verständigung und trägt gerade in Namibia – laut einer vor zwei Jahren unter Schülern der 8. und 9. Klassen durchgeführten Befragung – zum Verständnis der kolonialen Vergangenheit bei. Außerdem macht es Spaß, und eine nicht-muttersprachliche Stimme aus dem Publikum sagte: „Deutsch ist eine schöne Sprache“.